Bürokratie und hohe Kosten ärgern
Das Verhalten ist menschlich verständlich, aber ziemlich unklug: Viele Menschen schieben das unangenehme Thema Pflege von sich weg, bis es nicht mehr geht. Welche Ängste es mitunter auslöst, war auf einer Podiumsdiskussion der CDU zu erleben.
Bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) im Kreis Gütersloh, organisiert durch deren Vorsitzenden Detlef Kroos aus Halle, sowie der Seniorenunion Halle wurde das sehr komplexe Thema aus verschiedenen Sichtwinkel beleuchtet. Wie überaus dringlich die Befassung mit den Pflegeperspektiven ist, das machte mit Andreas Westerfellhaus aus Rheda-Wiedenbrück ein Mann deutlich, der als Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung und Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium von 2018 bis 2021 einen sehr guten Überblick über die Lage gewinnen konnte.
Die Veranstaltung vor etwa 20 Zuhörern litt ein wenig unter der fehlenden Tontechnik, doch die Inhalte hatten es in sich. Andreas Westerfellhaus, dessen Werdegang vom Krankenpfleger über den Diplom-Pädagogen für Gesundheitsberufe und die Geschäftsführung der Zentralen Akademie für Berufe im Gesundheitswesen (ZAB) im Kreis Gütersloh schließlich zur Berufung bis in höchste politische Ämter führte, wies auf die Gefahren hin, dass angesichts der demografischen Entwicklungen in einigen Jahren womöglich nicht mehr genügend Angebote für Pflegebedürftige sichergestellt werden können.
"Doch wir haben nicht nur Probleme, wir haben auch Lösungen", verwies Westerfellhaus auf viele positive Beispiele in Deutschland. "Allerdings tun wir uns schwer, gute Dinge auch in die Regelversorgung zu bringen", sieht der ehemalige Staatssekretär große Probleme in der Überbürokratisierung und dem Beharrungsvermögen im bestehenden System. "Wir brauchen eine ganz andere Diskussion über Pflege", sagt Westerfellhaus.
Dass sich mittlerweile selbst Manager und Wirtschaftsführer mit dem Thema Pflege befassen, weil Facharbeiter immer häufiger zu- hause bleiben müssen wegen der Pflege ihrer Eltern, sieht Westerfellhaus als einen Beleg für die Vielschichtigkeit des Problems. Eine Pflegereform sei dringlich. Denn allein das Problem mit schätzungsweise einer halben Million fehlender Arbeitskräfte im Pflegebereich werde man auf keinem Weg ganz lösen können, glaubt Westerfellhaus.
Verhindern von Pflegebedürftigkeit als Lösung empfohlen
Die entscheidende Frage lautet deshalb für ihn: Wie können wir Pflegebedürftigkeit verhindern? Und dazu müsse Aufklärung, Vorbeu- gung und eine gesündere Lebensweise an erster Stelle stehen. "Doch in unserer Gesellschaft geht leider mehr und mehr Gesundheitskompetenz verloren", stellt der 67- Jährige fest.
Westerfellhaus ist davon überzeugt, dass man junge Leute immer noch für den Pflegeberuf begeistern kann. "Nur muss man sie dann auch sehr intensiv in der Ausbildung begleiten", fügt er hinzu. Und wenn man Studien zufolge bis zu 40 Prozent ehe- malige Pflegekräfte, umgerechnet mehr als 200.000 Arbeitskräfte, für eine Rückkehr in den Beruf gewinnen könne, wenn man nur die Arbeitsbedingungen mit mehr planbaren Diensten und Freizeit ändere, dann ist dies für ihn weiteres Feld, das dringend bearbeitet werden muss.
Existenzängste wegen hoher Zuzahlungen im Heim
Dass kompetenten Pflegemitarbeitern alltägliche Tätigkeiten wie das Auswechseln von Kathetern vorenthalten wird, weil dies haftungsrechtlich nur Ärzten gestattet ist, hält Westerfellhaus für nur eine von vielen bürokratischen Hürden, die das gesamte Pflegesystem fesseln. Allein mit I-Pads für jeden Mitarbeiter und mit moderner Spracherkennung seien die ledigen Dokumentaionspflichten in der Pflege, die im übrigen stärker hinterfragt werden müssten, viel leichter zu erledigen.
Tom Kaiser, Geschäftsführer des Pflegedienstanbieters Daheim, unterstützte die Kritik an der Überbürokratisierung in der Prüfung: Für ihn gibt es zu viele fragwürdige Überprüfungen. Und auch die Dokumentation müsse geprüft werden, ob sie tatsächlich immer Sinn mache und wer letztlich die erhobenen Daten auch tatsächlich nutze.
"Pflegende sind keine Handlanger von Ärzten"
"Wir bürokratisieren uns zu Tode", meinte denn auch Ralf Harz, IT-Beauftragter bei der Sozialstation des Betriebshilfsdienstes (BHD-Land) in Warendorf. Dass Pflegekräfte in der häuslichen Pflege zwar auf Tablets umgestiegen seien, nutze wenig, wenn 90 Pflegekassen nach wie vor Daten ausgedruckt und zugesandt haben möchten.
Marleen Schönbeck (Mitglied im Vorstand des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe) wies selbstbewusst auf die Kompetenz der Pflegenden hin. Sie wünscht sich mehr Miteinander auf Augenhöhe zwischen Ärzten und Pflegern. Pflegerinnen und Pfleger seien keine Handlanger von Ärzten, das müsse auch gesellschaftlich stärker beachtet werden. "Wenn es nicht genügend Pflegende gibt, dann sterben Menschen", sagte Schönbeck.
Die Diskussion mit Publikum zeigte, wie existenziell manche Sorgen Betroffener sind. Ein Senior schilderte, wie die stationäre Pflege der über 90-jährigen Schwiegermutter mittlerweile mehr als 2500 Euro monatliche Zuzahlung erfordert. Die nicht unrealistische Perspektive ist, dass das Haus, für das in der Familie ein Leben lang hart gearbeitet wurde, letztlich für die Pflege verloren geht. Das verursacht nicht nur bei dieser Familie Existenzängste.
Senior warnt vor politischem Sprengstoff
Von einem Haller Senior kam der mahnende Hinweis, dass in den hohen Kosten auch politischer Sprengstoff liege. "Wenn wir uns nicht kümmern, werden uns noch die Augen aufgehen", so seine Warnung.
Und die Mutter eines schwerstbehinderten Kindes schilderte eindrucksvoll, wie sehr sie sich durch die Schließungen von Kurzzeitpflegeeinrichtungen wie der Haller "Arche" allein gelassen und vollkommen erschöpft fühlt.
Angesichts dieser Betroffenheiten war die politische Diskussion nicht einfach. Der Bielefelder CDU-Landtagsabgeordnete Tom Brüntrup beschrieb das Dilemma, dass Menschen über die Sozialversicherung nicht einmal fünf Prozent für die Finanzierung der Pflegeversicherung auf- bringen, gleichzeitig aber eine 100-Prozent-Versorgung bei der Pflege erwarten würden.
CDA-Bezirkschef Kuhlmann: "Nicht den Mut verlieren!"
Steve Kuhlmann, Bezirksvorsitzender des CDA, riet angesichts der lebhaften und kritischen Diskussion dazu, nicht den Mut zu verlieren. Denn das System habe bisher getragen, habe sich allerdings auch ein Stück verselbstständigt. Was sich hier oft als bürokratisches Gewohnheitsrecht entwickelt habe, sei nie von der Politik so beschlossen worden, meinte der Bielefelder Steve Kuhlmann. Allerdings gelte es in der Gesellschaft neu zu verhandeln, was der Staat noch leisten müsse. Eine All-in-Mentalität sei sicherlich verkehrt, weil die Kräfte des Staates erschöpft seien.